#1 Hendrik als präventives Selbst

Montag. 7 Uhr. Hendrik dreht bereits die sechste Runde um den großen See im Frankfurter Ostpark. Doch er hat keine Augen für die blühenden Seerosen und schnatternden Enten auf dem Riedgraben. Vielmehr ist er damit beschäftigt, sich den Schweiß von der Stirn zu wischen und seine müden Muskeln zu noch mehr Kilometern zu drängen. Die Frauenstimme in seinem Ohr hat ihm gerade per Kopfhörer durchgesagt, dass er erst seit 42 Minuten joggt – da fehlen noch acht Minuten, bevor er die letzten zehn Minuten nach Hause antreten kann, um seine Stunde voll zu kriegen.

Ein Blick auf seine Smartphone-App verrät ihm, dass sein Brustgurt 65 Prozent seiner maximalen Herzfrequenz misst – ideal für die Fettverbrennung und nicht das, was er leisten könnte. Doch obwohl er heute moderates Ausdauertraining betreibt, fehlt ihm die Energie. “Kein Wunder”, er stellt sich vor, wie seine Mutter zu ihm spricht, “wer ohne Frühstück läuft, ist selbst dran schuld, wenn der Körper schlappmacht”. Doch was weiß seine Mutter schon? Von Fettstoffwechseltraining hat sie wahrscheinlich noch nie etwas gehört, geschweige denn so eine App wie Runtastic auch nur aus dem Playstore geladen.

Nein, Hendrik weiß es besser. Er hat sich ein Jahresziel von 650 km gesetzt, an das ihn seine Lauf-App regelmäßig erinnert. Um seinen Körper fit zu halten, versteht sich. Nicht, dass er es nötig hätte, abzunehmen, aber er will auf keinen Fall mal so ungelenk wie sein Arbeitskollege Bennie werden, der mit 35 bereits mit seinem Schreibtischstuhl verwachsen zu sein scheint. Mittags schiebt er sich einen Donut nach dem anderen in den Mund, ohne seinen Platz zu verlassen. Lieber verbringt er seine freie Stunde damit, online zu gärtnern und Bauernhof zu spielen, als seinen Körper zu bewegen. Dabei täte ihm richtiges Gärtnern auch mal gut, denkt Hendrik, als er endlich den Park verlässt und nach Hause trabt.

Oh! Kurz bevor er zu Hause angekommen ist, zeigt ihm die App an, dass seine Laufschuhe die empfohlene Nutzungsdauer von 500 Kilometern überschritten haben. Auch das noch, denkt er sich, als er die letzten Stufen zu seiner Wohnung erklimmt. Auf keinen Fall will Hendrik seinen Gelenken mehr Belastung zumuten, als er es in der asphaltierten Stadt mit ihren platt getretenen Wegen ohnehin schon tut. Federnder Waldboden in Frankfurt? Fehlanzeige.

Während er Sporthose und Shirt gegen Anzug und Hemd tauscht, überlegt er, wann er es in ein Sportgeschäft schaffen könnte, um neue Laufschuhe zu kaufen. Wenn er morgen wieder seine Runden drehen will, bleibt ihm nur die Mittagspause, denn nach der Arbeit trifft er sich auf einen Kaffee mit seiner neuen Kollegin Sonja. Sie ist wie er sportverrückt und sieht dabei auch noch aus wie die Zwillingsschwester von Emma Watson.

In der U-Bahn checkt Hendrik seinen heutigen Lauf: 10 Kilometer hat er heute Morgen geschafft. Wenn er auf seine 650 Kilometer im Jahr kommen will, muss er dreimal pro Woche einen solch einstündigen Lauf absolvieren. Das ist machbar, auch wenn ihm bereits jetzt vor der nächsten Runde graut – in letzter Zeit hat er morgens einfach keine Energie. Dabei isst er genau so viel, wie er laut seiner Kalorienzähl-App braucht, um sein Gewicht trotz des vielen Laufens zu halten. Apropos Kalorienzähl-App: Als er den Fahrstuhl, der ihn in den sechsten Stock des verspiegelten Hochhauses, in dem mehrere namhafte Unternehmen in der Frankfurter Innenstadt ihren Sitz haben, betritt, trägt er noch schnell sein Frühstück in die App ein. Zwischen Duschen und Aktentasche zusammenkramen hatte er noch schnell einen Proteinriegel und einen Smoothie mit Waldbeeren zu sich genommen. Nicht gerade das beste Frühstück, wenn man bedenkt, dass er weniger Zucker zu sich nehmen will. Vor allem der Proteinriegel ist mehr eine Süßigkeit als ein vollwertiges Nahrungsmittel, wie ihm die YAZIO-App jetzt verrät: 20 Gramm Zucker sind in dem kleinen Teil drin. Was das für Auswirkungen auf seinen Insulinspiegel zusammen mit dem Fruchtzucker aus dem Smoothie hat, will Hendrik sich lieber nicht ausmalen. Nicht, dass er noch so endet wie seine Tante, die erst kürzlich mit Diabetes diagnostiziert wurde und auf den ersten Blick überhaupt nicht wie eine Diabetes-Patientin wirkt. Auf den zweiten ehrlich gesagt auch nicht, aber ihr süßer Zahn wurde ihr wohl zum Verhängnis.

Noch bevor Hendrik sein Mail-Postfach öffnet und seine Arbeit beginnt, scrollt er durch die YAZIO-App und wählt die “Kein Zucker”-Challenge aus – das hatte er schon länger vor. Gleich darauf weist ihm die App an, für mindestens 21 Tage zu versuchen, auf Zucker zu verzichten. Was heißt hier versuchen, denkt Hendrik, das würde er mit links schaffen und der Diabetes-Krankheit so ein Schnippchen schlagen. 

Plötzlich steckt Sonja ihr hübsches Gesicht zur Tür herein. “Guten Morgen, kommst du heute mit zum Italiener?” Sie schenkt ihm ein bezauberndes Lächeln. 

“Geht nicht, ich muss in der Mittagspause neue Laufschuhe kaufen.” Hendrik lächelt zurück. Insgeheim ist er dankbar für die perfekte Ausrede. Denn so sehr er seine Kollegen und Kolleginnen mag, gesundes Essen ist für die meisten eher mit einem Virus gleichzusetzen, das man unbedingt meiden sollte. Selbst Sonja, die perfekte Körpermaße hat, schaufelt sich Unmengen an Pizza und Pasta rein. Ihr Lauftraining muss wirklich effektiv sein, denkt Hendrik und nimmt sich gleich darauf vor, ihre letzten Läufe bei Runtastic mit seinen zu vergleichen.

“Wie du magst, wir sehen uns ja später.” Sie zwinkert ihm zu und verlässt sein Büro.

In der Mittagspause hetzt Hendrik zum Sportgeschäft, unterzieht sich einer Laufanalyse und verlässt mit einem Schuhkarton unter dem Arm geklemmt und 150 € weniger auf seinem Konto den Laden. Sein Handy blinkt auf. Die YAZIO-App meldet sich: Du hast vergessen, dein Mittagessen einzutragen, steht da auf dem Bildschirm. Doch die Tupperboxen mit dem Avocado-Ziegenkäse-Salat und dem Räucherlachs-Bagel liegen noch unangetastet im Bürokühlschrank. Sofern sich Bennie nicht darüber hergemacht hat, aber beim Anblick von Salat rümpft der eher die Nase. 

In seinem Büro angekommen – es ist bereits nach 14 Uhr –, schlingt er schnell sein mitgebrachtes Essen in sich hinein und geht dann wieder an den Bildschirm. Zwischen Arbeits-Mails und Excel-Tabellen trägt er die gerade gegessenen Kalorien in seine App ein. Er stellt fest, dass er noch 850 für den heutigen Tag übrig hat, um seinen Körper mit allem zu versorgen, was er benötigt, um sein Idealgewicht zu halten und fit und gesund zu bleiben. Auch ein Blick auf seine heutige Schrittzahl zaubert ein Lächeln auf sein Gesicht und seine Schultern entspannen sich: 17.000 Schritte hat er dank der Qual heute Morgen bereits auf seinem Konto gut geschrieben – mehr als allgemein empfohlen wird. Darüber muss er sich heute also keine Gedanken mehr machen.

Erschrocken stellt er jedoch fest, das sein Körper laut YAZIO und Runtastic vollkommen dehydriert sein müsste: Schnell gibt er noch das Wasserglas ein, das er heute Morgen nach dem Lauf getrunken hat und schenkt sich zwei weitere Gläser am Schreibtisch ein, die er sogleich nachträgt, sobald der letzte Tropfen seine Kehle hinuntergelaufen ist. Jetzt müsste sein Körper wieder wohlversorgt mit Flüssigkeit sein. Auch die YAZIO-App ist mit seinen Eintragungen zufrieden.

Gerade, als er sich wieder an seine Arbeit machen will, blinkt sein Smartphone erneut auf. Diesmal ist es die neue Meditations-App, die er sich erst kürzlich auf Empfehlung von Sonja heruntergeladen hat und ihn folgendes fragt: Do you feel tense or relaxed right now? Eher tense, denkt sich Hendrik und zieht eine Grimasse, aber genau dagegen soll die neue App ihm ja behilflich sein. Erst kürzlich hat er gelesen, dass Meditation und Achtsamkeitstraining auf die eigene Gesundheit genauso viel Einfluss haben sollen wie die Ernährung. Da kam Sonja mit der Headspace-App genau zur richtigen Zeit um die Ecke …